Der Reichtum an Wanderwegen ist im Nationalpark Hohe Tauern schier unüberschaubar. Dennoch gibt es in Neukirchen am Großvenediger einen besonderen Wanderweg für Leib und Seele, wo sich Irdisches und Himmlisches berühren. Wer den Alltag hinter sich lässt und diesen Weg beschreitet, der kann sich stärken und erneuern. Spätestens seit Hape Kerkelings Bestseller „Ich bin dann mal weg“ ist Pilgern stark in Mode gekommen. Allein im Jahr 2009 registrierte das Erzbistum Santiago de Compostela knapp 150.000 Pilger. Auf dem Neukirchner Kapellenweg merkt man nichts von diesem Trubel. Nur das Zwitschern der Vögel ist zu hören. Die Wanderroute führt durch wunderschöne Ortsteile und wird zum unvergesslichen Erlebnis für Jung und Alt. Sie lädt zum Entschleunigen ein und führt an neun Kapellen vorbei. Als Rundweg angelegt, wandert man über Wiesen, Wälder, kleine Anhöhen mit einem wunderbaren Blick auf die Hohen Tauern sowie die Pinzgauer Grasberge. Interessierte können überall einsteigen, sei es im Ortzentrum, der Venedigersiedlung, in Rosental oder in der Sulzau.
Den Ausgangspunkt der Beschreibung bildet die Kirche im Neukirchner Ortszentrum, welche Johannes dem Täufer geweiht ist. Sie wurde 1243 erstmals urkundlich erwähnt. Die Entstehungszeit des gegenwärtigen einschiffigen Gotteshauses geht in die zweite Hälfte des 14. Jahrhunderts zurück. In der Nordwand ist der schöne marmorne Grabstein von Georg von Neukirchen (1547 gestorben) eingelassen. Im ausgehenden 17. Jahrhundert entwickelt sich eine bedeutende Wallfahrt zur Gnadenstatue „Unserer Lieben Frau von Neukirchen“ auf dem Hochaltar, die besonders am Rosenkranzfest und an den goldenen Samstagen von einem großen Pilgerstrom aufgesucht wurde (bis zu 1.800 Teilnehmer). Erst mit Beginn des Ersten Weltkrieges endete der Pilgerstrom. Nachdem in den Jahren 1994 bis 1998 die Kirche komplett saniert worden war, fand am 4. Oktober 1998 der Festgottesdienst mit Altar- und Orgelweihe durch Weihbischof Jakob Mayr statt.
Unmittelbar neben der Kirche befindet sich die Totenkapelle, in der sich der Grabstein von Anna Hauspeckin, einer Brauereibesitzerin aus Neukirchen, befindet. Sie war die Frau von Georg von Neukirchen, dem Letzten des Geschlechts der Neukirchner, das im Ort über 400 Jahre als Herrschaftsfamilie saß. Von hier führt ein achtminütiger Anstieg Richtung Norden zur Schlosskapelle, die sich unterhalb des Schlosses Neukirchen befindet. Sie wurde 2004 durch Geld und Naturalspenden der Interessengemeinschaft zur Erhaltung der Schlosskapelle restauriert. Der Blick auf das Ortszentrum von Neukirchen ist von hier ein Genuss. Nach diesem „Augenschmaus“ geht es weiter zum Ostrand der Dürnbachau.
Zur Linken des Hotels Hubertus liegt die Hubertuskapelle, die 1991 von den Brüdern Peter und Josef Gassner errichtet wurde. Sie ist nach vorn offen und mit einem Eisengitter versperrt. Die örtliche Jägerschaft begeht hier alljährlich ihre Hubertusandacht.
Nach westen führt nun
ein gemütlicher Wanderweg weiter durch die Dürnbachau, die nach ca.
20 Minuten erreicht wird. Dort steht die Krausenkapelle, die von 2000 bis 2001
in der Nähe des Krausenhofs neu erbaut und am 27. Oktober 2001 vom damaligen
Ortsparrer Mag. Josef Zauner eingeweiht wurde. Die Heiligenfiguren stammen aus
der alten Krausenkapelle, die um 1828 errichtet wurde, und um 1950 dem Straßenbau
weichen musste.
Frisch des Weges marschieren die Pilger weiter durch die Venedigersiedlung und
erreichen nach 15 Minuten die Kapelle Klein Neukirchen. Sie genießen dabei
den Blick auf die Venedigergruppe, wo der Neukirchner Hausberg Großvenediger
(3.674 m) aus dem Untersulzbachtal grüßt. Das Kirchlein wurde von
Hubert und Hermine Kaiser von 1987 bis 1989 in unmittelbarer Nähe ihres
Wohnhauses gebaut und ist ein kleines Abbild der Ortskirche.
Nun wechseln die Wanderer auf die andere Seite des Salzachtals und wandern bis Rosental, überqueren auf dem Talboden die Gleise der nach einem verheerenden Hochwasser in große Mitleidenschaft gezogenen und im Jahre 2010 wieder neu instand gesetzten Pinzgauer Lokalbahn. Sie schlängelt sich harmonisch entlang der Salzach. Von der Brücke geht es einen netten Pfad leicht ansteigend zur Scheffaukapelle. Die erste Kapelle der Unterscheffau wurde Ende des 18. Jahrhunderts erstmals urkundlich erwähnt, war jedoch baufällig und wurde um 1900 neu erbaut. 1916 brannte die Kapelle aus, die Marienstatue litt stark darunter, wurde jedoch wieder restauriert. 1979 wurde die Kapelle neuerlich durch einen Brand beschädigt, aber im Auftrag der Familie Stotter restauriert und in den heutigen Zustand gebracht.
Die nächste Station nach weiteren zehn Minuten Fußmarsch ist die Christophoruskappelle beim Gasthof Friedburg. Sie wurde von der Familie Unterrassner 2009 in Eigenregie erbaut und am 15. August 2009 durch Pater Ansgar Paus, Diakon Hinnert und den derzeitigen Ortspfarrer Mag. Helmut Frimbichler feierlich eingeweiht. Die Steine der Außenfassade stammen aus dem Krimmler Achen- sowie dem Habachtal. Der Altar aus Mineralien wird so manchem Steinfreund ins Auge stechen. Nach einer Pause auf der Terrasse des Gasthofs Friedburg mit seinem einzigartigen Blick auf das gesamte Salzachtal sowie die Pinzgauer Grasberge kann es gestärkt weitergehen.
Nun senkt sich der weitere Weg bis zum Fuß des Obersulzbachtals. Nach der Überquerung der Obersulzbachbrücke wandern die Pilger zur Siggkapelle, die direkt beim Blausee liegt. Das gezimmerte Kirchlein wurde bereits vor 1900 errichtet. Außen befinden sich vier Marterl für verunglückte Personen, einige der Figuren stammen aus der alten Berndlkapelle.
Auf der Asphaltstraße entlang geht es zum letzten Kraftplatz des Rundwegs, der Berndlhofkapelle im Ortszentrum der Sulzau. Das heutige Kirchlein wurde 2000 von der Familie Josef und Astrid Hollaus neu erbaut, da die ursprüngliche Kapelle baufällig war. Maria Scharler ließ ursprünglich die erste Version errichten. Die Marienstatue im Inneren holte sie vom Tanzlehenbauer in Bramberg, da ihr Mann von dort stammte. Erstmals wurde das alte Kirchlein in einer Urkunde in lateinischer Sprache am 15. Dezember 1914 erwähnt. Diese Kapelle gehörte zum Berndlgut, das jetzt im Besitz des Mühlhofbauern ist.
Auf den letzten Metern Richtung Neukirchen genießen die Wanderer die grünen Wiesen links und rechts des Pfads sowie den Blick auf den Wildkogel und das Naturdenkmal Untersulzbachfall und lassen die vielen Eindrücke Revue passieren. Die Kapellen ähneln sich in keiner Weise. Sie haben alle verschiedenste Merkmale, sind in unterschiedlichen Stilen erbaut und haben ihre eigenen Geschichten. Sie laden zu Ruhe und Besinnung ein.
Gehzeit 4 bis 4 ½ Stunden
Hier der Artikel in der Kronen-Zeitung über den Kapellenweg: